Oberstrass im Wandel der Zeit
Auszug aus dem Buch „Oberstrass im Wandel der Zeit“ von Dieter Marty (2010)
Der Name Oberstrass des heutigen Stadtquartiers stammt von der „Oberen Strasse“, welche 1377 erstmals in einem Verzeichnis der beim Rat von Zürich eingereichten Geld- und Sachforderungen urkundlich erwähnt wurde: „Schiry an der „obren strass“ schuldet dem Benhart Pfister 1 ½ Kernen und 1 Schilling.“ Die „Obere Strasse“ führte als Landstrasse vom Neumarkttor bzw. vom späteren Kronentor (Rechberg) über die heutige Künstlergasse-Tannenstrasse-Sonneggstrasse-Culmannstrasse-Frohburgstrasse zum Hirschenplatz in Schwamendingen und über die Aubrugg nach Winterthur.
Im 13. Jahrhundert erlangte die Stadt Zürich die Reichsunmittelbarkeit, was die Direktunterstellung unter den Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation bedeutete. Zürich nutzte die gewonnen Freiheitsgrade und dehnte ihr Herrschaftsgebiet stetig auf das ganze Umgelände aus. Unmittelbar an das Stadtgebiet grenzend, entstanden Vogteien, in den äusseren Teilen des heutigen Kantonsgebietes Landvogteien. Oberstrass bildete zusammen mit Hottingen (später abgelöst durch Wipkingen), Fluntern und Unterstrass die Obervogtei der „Vier Wachten“. Der Obervogt regierte von der Stadt aus, in der er auch wohnte und Mitglied des Rates war. Sein Vertreter in der Wacht war der Untervogt, der eine eigene Amtstracht aus blau-weissem Tuch tragen musste. Amtsinsigne war der Vogtstab mit der silbernen Schwurhand.
Oberstrass war Landwirtschaftsgebiet der Stadt. In den unteren Lagen dominierte der Rebbau, in den oberen Lagen waren die Weidegebiete für Rindvieh, Schafe und Ziegen vorherrschend, später auch Acker- und Obstbau. Grundeigentümer waren die geistlichen Stifte in der Stadt, das Chorherrenstift Grossmünster, die Klöster Fraumünster, Prediger und Augustiner. Mit der Reformation kamen die Güter in den stadtstaatlichen Besitz. Die Grundeigentümer gaben die Höfe als Erb- oder Handlehen an Lehensbauern weiter, welche dafür einen Naturalzins, den Zehnten, abzuliefern hatten. Die Zehntenpläne enthielten die zehntenpflichtigen Grundstücke und deren Pflichterträge. Freie Bauern, welche ihre Zehntenpflichten finanziell ablösen konnten, waren die Ausnahme.
Mit der französischen Revolution und der Eroberung der alten Eidgenossenschaft fiel die alte Ordnung zusammen. Die Helvetik begründete Departemente bzw. Kantone, Distrikte bzw. Bezirke und Orts- oder Bürgergemeinden bzw. Munizipalitäten. Die Obervogtei der „Vier Wachten“ zerfiel in Munizipalitäten, die nun zum Distrikt Zürich gehörten, darunter auch die ehemalige Wacht Oberstrass, neu mit einem Gemeindepräsidenten. Die Volkszählung von 1798 ergab für Oberstrass 447 Gemeindebürger, Lehensleute, Nichtbürger mit Grundeigentum, Hintersassen, Knechte, Mägde, Bedienstete, ortsabwesende Gemeindebürger und Kinder. Die dörfliche Gemeinde Oberstrass existierte von 1798 bis 1893 und erlebte eine enorme Entwicklungs- und Wachstumsphase. 1893 zählte man 4951 Einwohner.
Am 9. August 1891 wurde der ersten Eingemeindung der Stadt Zürich in Volksabstimmungen zugestimmt. Auf den 1. Januar 1893 wurde aus der Gemeinde das Stadtquartier Oberstrass. Heute zählt Oberstrass rund 11’000 Einwohner auf einer Fläche von 236,5 ha.